Corona-Newsletter 3. April 2020
Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Fast täglich stehen wir vor neuen Herausforderungen und Problemstellungen in einer Dimension, wie wir dies bisher nicht kannten. Mir ist wichtig, zunächst noch einmal die Ausgangslage und vor allem auch die Kräfteverhältnisse deutlich zu machen, mit denen wir uns dieser Herausforderung stellen müssen. Das aktuell im Fokus stehende Gesundheitsamt ist Teil des öffentlichen Gesundheitswesens. Wir verfügen dort über vier (!) vom Land gestellte Ärzte. Darüber hinaus kümmern sich um die Gesundheitsversorgung im Landkreis ca. 100 niedergelassene Ärzte sowie das Klinikum. In diesen Zeiten arbeiten alle Beteiligten eng zusammen. Insbesondere das Gesundheitsamt ist enorm gefordert. Wir haben deshalb Mitarbeiter für Sonderaufgaben abgestellt und zusätzlich auch ehemalige Ärzte für eine Unterstützung gewinnen können. Über die Fallzahlentwicklung und aktuelle Informationen informieren wir täglich auf unserer Homepage und in den Sozialen Medien. Aufgrund der unterschiedlichen Meldewege stimmen unsere Zahlen in der Regel nicht tagesgenau mit den Zahlen des Landes und auch des RKI überein. Die Entwicklung in unserem Landkreis lässt sich aber in unserer Lagekarte gut nachvollziehen. Aufgrund einer Empfehlung des Sozialministeriums haben wir zwischenzeitlich die Darstellung umgestellt und weisen seit einigen Tagen die Zahl der Toten und der genesenen Patienten nicht mehr gemeindescharf, sondern nur auf den gesamten Landkreis bezogen aus. Mit diesem Newsletter wollen wir künftig regelmäßig über aktuelle Entwicklungen, Maßnahmen und Überlegungen informieren.
Entwicklung der Fallzahlen
Die Zahl der positiv bestätigten Fälle ist in den letzten Tagen kontinuierlich gestiegen und hat zwischenzeitlich die 200er-Grenze überschritten. Es ist von weiter steigenden Zahlen auszugehen. Nach wie vor verteilen sich die positiven Fälle über alle Altersgruppen, beginnend von Kleinkindern bis hin zu Hochbetagten. Seit dieser Woche ist auch ein, nur weniger Monate alter, Säugling dabei. Der Schwerpunkt entfällt nach wie vor auf die Altersgruppe zwischen 40 bis 60 Jahre. Die Zahl der älteren Personen über 60 liegt bei knapp 20 %. Auf die als Anhang beigefügte Darstellung wird verwiesen. Die Altersverteilung im Landkreis entspricht weitgehend der Verteilung auf Bundesebene. Speziell in der letzten Woche deutlich zugenommen hat die Zahl der stationär im Klinikum versorgten positiven Corona-Fälle. Sie hat sich seit Wochenanfang (10) auf aktuell 20 Personen verdoppelt. Sieben Fälle werden intensiv betreut und beatmet. Diese Zunahme zeigt den Ernst und die Dramatik der Situation. Nach wie vor muss es primär darum gehen, die Zahl der stationären Fälle so gering als möglich zu halten und darauf unser Alltagsverhalten abzustimmen.
Situation im Klinikum
Die Unterbringung der Corona-Patienten erfolgt aktuell in der Mobilen Bettenstation in Tuttlingen. Dort liegen nicht nur positive Fälle, sondern auch stationär aufgenommene Verdachtsfälle. Diese werden wie positive Fälle behandelt und entsprechend isoliert. Derzeit sind zwei von drei Stationen im Mobilen Bettenbau mit Corona-Patienten belegt. Eine weitere Station mit rund 20 Plätzen steht dort noch zur Verfügung. Danach würden wir Stationen im Bestandsgebäude belegen. Insofern sind wir was die reine Bettenversorgung betrifft gut aufgestellt. Die weitere Entwicklung hängt aber auch davon ab, ob wir wie derzeit auch künftig alle Patienten einzeln isolieren müssen oder ob je nach Entwicklung des Krankheitsverlaufes auch Mehrfachbelegungen möglich sind. Dies würde uns weitere Reserven schaffen.
Die Zahl der Intensiv- und Beatmungsplätze haben wir in den letzten Tagen durch Ausnutzung aller räumlichen Möglichkeiten auch in den OP-Bereichen verdoppelt. Anstelle der früheren 8 Plätze können wir nun insgesamt 16 Beatmungsplätze anbieten und auch personell mit entsprechend qualifiziertem Personal voll abdecken. Sollte die Zahl der zu beatmenden Patienten diese Möglichkeiten übersteigen müssten wir Verlegungen vornehmen. Dazu tauschen wir uns regelmäßig insbesondere mit dem Großklinikum VS aus. In Spaichingen haben wir in dieser Woche den Betrieb im ambulanten Operationszentrum eingestellt, um die dortigen personellen aber auch technischen Ressourcen in Tuttlingen konzentrieren zu können. Der Praxisbetrieb im MVZ läuft noch. Eingemietete Praxen haben teilweise ihren Betrieb eingestellt. Über die Überlegungen des Landes zur Reaktivierung stillgelegter Krankenhäuser wurde bereits informiert. Wir haben auf den Aufruf des Landes hin Spaichingen natürlich gemeldet, allerdings auch deutlich gemacht, dass dazu externe Hilfe notwendig wäre. Seither haben wir aus Stuttgart keine neuen Informationen mehr erhalten. Unabhängig von möglichen Plänen des Landes müssen aber auch wir bei einer etwaigen deutlichen Verschlechterung der jetzigen Situation Spaichingen für die Versorgung einfach gelagerter Fälle in der Hinterhand behalten. Dies wird ohne eine Unterstützung der Hilfsorganisationen nicht zu stemmen sein. Derzeit konzentrieren wir unsere Überlegungen auf die Nutzung eigener Räumlichkeiten. Von der Anmietung von Hotels nehmen wir derzeit unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin und unserer Klinikärzte Abstand.
Abstrich-Zentren und Corona-Zentrum der Ärzteschaft
Das von den Kassenärzten betriebene Corona-Zentrum in Tuttlingen wird von den Patienten gut angenommen. Zusätzlich haben wir Ärzte des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin engagiert, die auch in Spaichingen eine Mobile Abstrich-Stelle betrieben haben. Zusammen haben wir im Schnitt in dieser Woche täglich ca. 80-90 Testabstriche vorgenommen. Der Dienstplan ist dank des Engagements der Ärzte bis Ende April auch einschließlich der Wochenend- und Feiertage gesichert. Das Abstrich-Zentrum in Spaichingen werden wir am 6. April 2020 einstellen und dann ab dem 7. April 2020 alle Kräfte in Tuttlingen konzentrieren. Dies erleichtert uns die Abläufe und die Ressourcenbewirtschaftung. Wie bereits kommuniziert sind in den ersten Tagen Probleme und auch Versäumnisse bei der Übermittlung der negativen Testergebnisse aufgetreten. Seit der Umstellung der Abläufe werden zwischenzeitlich die ermittelten Laborbefunde zeitnah abgearbeitet. Aktuell gibt es Überlegungen, zusätzlich zum Zentrum auch ein „Coro-Mobil“ also eine mobile Einheit für Hausbesuche anzubieten. Dies soll aber nur auf wenige Extremfälle beschränkt werden, insbesondere Patienten, die aufgrund ihres Zustands das Zentrum in Tuttlingen nicht besuchen können. Allerdings müssen zunächst noch Fahrzeug, Fahrdienst und die ärztlichen Ressourcen organisiert werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, das „Coro-Mobil“ zeitnah in Betrieb zu nehmen.
Tests
Die Entscheidung, ob getestet werden muss oder nicht treffen die Ärzte, die sich dabei an den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts orientieren. Nach wie vor gilt die Empfehlung, nur dann zu testen, wenn auch Symptome vorhanden sind. Ein Test zu einem Zeitpunkt, in dem die Person keinerlei Symptome aufweist, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem negativen Ergebnis führen. Dieses Ergebnis ist zudem nur eine Momentaufnahme, weil sich auch ein negativ getesteter Mensch danach anstecken kann. Deshalb vermitteln sie auch ein Gefühl trügerischer Sicherheit. Aktuell wird in der Bundes- und Landespolitik darüber diskutiert, ob eine generelle Ausweitung der Tests nicht sinnvoll und wünschenswert wäre. Für die Nachverfolgung der Krankheit wäre dies sicherlich hilfreich, weil dadurch auch die Dunkelziffer an infizierten Personen reduziert werden könnte. Allerdings sind nach Aussagen des Berufsverbandes Deutscher Laborärzte solche flächendeckenden Massentests angesichts der Rahmenbedingungen zwar wünschenswert, derzeit aber illusorisch. Zudem müsste man die Menschen regelmäßig testen was logistisch und finanziell kaum darstellbar wäre (Quelle: Schwäbische Zeitung, 3. April 2020). Wir beziehungsweise die Ärzte werden uns im Landkreis Tuttlingen deshalb nach wie vor an den Empfehlungen der Fachleute orientieren und in jedem Einzelfall situativ über die Durchführung von Tests entscheiden.
Pflege
Große Sorgen bereitet uns aktuell die Situation der pflegebedürftigen Menschen im Landkreis. Viele Heime nehmen aus Angst vor möglicherweise infizierten Patienten, keine neuen Bewohner auf. In einer Einrichtung (Reha-Abteilung Bethel in Trossingen) haben wir in dieser Woche die ersten positiven Fälle zu verzeichnen gehabt. Die Betreuung kranker Menschen in einem Pflegeheim erfordert größte Sorgfalt und eine strikte Einhaltung der Hygienevorgaben. Deshalb ist es zunächst verständlich, dass Heime keine neuen Bewohner aufnehmen wollen. Andererseits gibt es auch in diesen Zeiten bei den noch bisher zu Hause ambulant betreuten Menschen Fälle, in denen eigentlich ein Heimaufenthalt notwendig würde. Hinzu kommt, dass viele der ausländischen Pflegekräfte durch die verfügten Grenzschließungen betroffen sind. Die Pflegedienste leisten wirklich Vorbildliches, stoßen aber mittlerweile auch personell an ihre Grenzen. Die in einigen Gemeinden entstandenen ehrenamtlichen Unterstützungsaktionen sind eine wertvolle Hilfe, werden alleine auf Dauer aber nicht reichen. Wir arbeiten deshalb mit Hochdruck an Modellen, wie wir die häusliche Versorgung zu Hause stärken können. Insofern gilt aktuell unser größtes Augenmerk dem Bereich der Pflege.
Materiallieferungen und Verteilung
Die bisher eingetroffenen Lieferungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir verbrauchen allein im Klinikum rund 1.000 einfache Schutzmasken täglich. Insofern bleibt die Materialknappheit ein akutes Problem. Wir sind auf regelmäßige und auch deutlich größere Lieferungen angewiesen. Parallel versuchen wir auf unseren üblichen Beschaffungswegen zusätzliches Material zu bekommen, was sich aber bei der Marktlage als schwierig erweist. Bereits Ende letzter Woche haben wir eine erste kleine Lieferung des Bundes beziehungsweise Landes mit 2.500 FPP2-Masken und 1.000 einfachen Schutzmasken erhalten und komplett an die ambulanten Pflegedienste und Nachbarschaftshilfen weitergeleitet. Die Verteilung erfolgt über unseren Pflegestützpunkt. Gestern ist eine weitere Lieferung eingetroffen (9.400 Schutzhandschuhe, 1000 FPP2 Masken, 13.000 einfacher Mundnasenschutz und 100 Schutzanzüge). Die Verteilung an die Einrichtungen im Landkreis obliegt dem Krisenstab. Wir haben dazu einen Verteilerausschuss eingerichtet, in dem derzeit ein Vertreter der ambulanten Pflegedienste/Nachbarschaftshilfe, ein Vertreter des Klinikums und ein Vertreter der stationären Pflegeheime vertreten sind. Das sind die Einrichtungen, die aktuell den größten Bedarf haben und deshalb derzeit vorrangig bedient werden. Die Gruppe legt jeweils einvernehmlich für jede Lieferung die Verteilung fest. Darüber hinaus bilden wir eine „Notreserve“, um gegebenenfalls auch zwischen den einzelnen Lieferterminen reagieren zu können.
Schließung der Wertstoffhöfe und Grünschnittsammelstellen
Im Zusammenhang mit der Kontaktsperre und den von Bund und Land beschlossenen Beschränkungen haben wir entschieden, unsere Deponien und Wertstoffhöfe bis auf weiteres für Privatanlieferungen zu schließen. Wir haben uns diese Entscheidung nicht leichtgemacht und werden dafür auch von verschiedenen Stellen immer wieder kritisiert. Trotzdem halten wir diese Entscheidung auch mit Blick auf die klar formulierten Zielvorgaben „Abstand halten, Soziale Kontakte meiden“ für konsequent und richtig. Wer die Zustände vor allem an den Wertstoffhöfen kennt, weiß, dass eine teilweise geforderte Reglementierung und Zugangsbeschränkung auf eine bestimmte Anzahl von Fahrzeugen kaum praktikabel durchsetzbar ist und zudem einen erheblichen Rückstau bis hin in das öffentliche Straßennetz verursachen würde.
ÖPNV
Bereits seit längerem haben wir nach der Schließung der Schulen und Kindergärten auf den sogenannten „Ferienfahrplan“ umgestellt. Erfahrungen der letzten Tage zeigen, dass auch in Folge der Kontaktsperre die Nutzung des ÖPNV speziell am Abend gegen Null tendiert. Deshalb haben wir uns zusammen mit den Unternehmern dazu entschlossen, die Busverkehre nach 20 Uhr bis auf weiteres einzustellen. Der Bus fährt somit ab 20 Uhr auf den Betriebshof, die auf der Strecke liegenden Haltestellen werden noch bedient. Diese Maßnahme beginnt am kommenden Montag und gilt vorerst bis zur Aufrechterhaltung der Kontaktbeschränkungen.
Vereinzelt sind Fragen zum Umgang mit einer möglichen Erstattung der Eigenanteile für den Schülerverkehr aufgetaucht, nachdem ja auch ein Schulbetrieb nicht mehr stattfindet. Wie andere Landkreise auch haben wir uns darauf verständigt, eine angekündigte einheitliche Regelung für das Land abzuwarten und dann darüber zu entscheiden. Das Entscheidungsrecht liegt beim Kreistag, da der Verzicht auf Eigenanteile pro Monat ~ 180.000 EUR Einnahmeausfälle zur Folge hat.
Ausblick
Die Corona-Krise fordert uns alle im Alltag in einem bisher nicht gekannten Maße. Neben unserem normalen Verwaltungsgeschäft müssen wir auch diese neuen Herausforderungen bewältigen. Zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landratsamtes sind mit Sonderaufgaben betraut und leisten beispielsweise bei der Unterstützung des Gesundheitsamtes in der Service-Hotline oder den Kontakterhebungen eine tolle Arbeit und erbringen einen hohen Einsatz auch an den Wochenenden.
Dass in einer solchen Entwicklung nicht in jedem Einzelfall alles problemlos laufen kann und auch hier noch Abläufe und Strukturen optimiert werden können ist angesichts der Herausforderung der Situation naheliegend. Wir stellen uns täglich diesen Aufgaben und versuchen, für die Menschen im Landkreis Tuttlingen in dieser Situation das Beste zu machen.
Mit etwas Sorge blicken wir auf die kommenden Frühlingstage. Bisher sind die auferlegten Kontaktbeschränkungen von den allermeisten Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Landkreis befolgt und beachtet worden. Wir stellen in den letzten Tagen aber auch vermehrt fest, dass die Sinnhaftigkeit der Einschränkungen immer öfter hinterfragt wird. Die am Anfang erwähnte Entwicklung der Fallzahlen zeigt aber eindrücklich, dass die gewünschte Verlangsamung des Zuwachses noch nicht erreicht ist und uns noch schwierige Tage bevorstehen. Deshalb sollte jeder selbst seinen eigenen persönlichen Beitrag dazu leisten, dass wir diese Krise gemeinsam durchstehen.
Ein herzliches Dankeschön an alle, die sich egal in welcher Funktion und auf welcher Ebene aktuell für unsere Gemeinschaft einsetzen und Herausragendes leisten. Sie alle verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung. Dies gilt insbesondere für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und all denen, die sie in ihren Aufgaben unterstützen.
Stefan Bär
Landrat